Es liegt ein sonderbarer Quell der Begeisterung für denjenigen, der spricht, (Heinrich von Kleist)
Anleitung für Zwiegespräche Zwiegespräche sind eine besondere Gesprächsform, die Michael Lukas Moeller, ein deutscher Arzt und Psychoanalytiker, entwickelt hat. Dieser Text dient als Kurzanleitung, welche genügen sollte, um mit den Zwiegesprächen zu beginnen. Als zusätzliche Lektüre empfehle ich das Buch „Die Wahrheit beginnt zu zweit“ von M. L. Moeller sowie dessen weitere Bücher zum Thema. Wozu dienen sie? Vorweg sei geklärt, wozu sich Zwiegespräche sicher nicht eignen: Sie sind kein Wundermittel zur Bewältigung von Beziehungskrisen. Sie dienen dem langfristigen Wachstum der Beteiligten und somit auch der Entwicklung der Beziehung, aber sie sind kein Reparaturwerkzeug. Sie eignen sich absolut nicht dazu, den Partner zu dem zu bringen, was man schon immer von ihm wollte, aber irgendwie nie bekommen hat. Im Gegenteil – das Zwiegespräch lebt von und mit der Selbstverantwortung. Wer sich auf Zwiegespräche einlässt in der Hoffnung, der andere werde ihn endlich verstehen und sich dann in die gewünschte Richtung entwickeln, hat eine Enttäuschung vor sich. Der andere wird mehr so werden, wie er oder sie ist, d.h. wie er/sie sozusagen gemeint ist, wird das Potenzial voller ausschöpfen, das ihm oder ihr gegeben ist – ob einem das dann gefällt, bleibt indes abzuwarten. Die geeignetste Haltung gegenüber den Zwies ist daher auch nicht die Erwartung, dass irgendetwas verbessert, gesteigert oder optimiert wird, sondern die einer offenen Neugier – zunächst und vor allem auf sich selbst, und sodann auch auf den anderen und das ’dazwischen’, die Beziehung. Man hört sich anders zu, wenn einem jemand anderes zuhört. Aus dem Gesagten wird, wie ich hoffe, deutlich: Zwiegespräche sind – erstaunlicherweise – primär nicht Beziehungsgespräche. Ihr eigentliches Thema ist nicht die Beziehung, sondern die erlebte Wirklichkeit und Wahrheit des einen und des anderen. Daraus ergibt sich dann freilich auch ein Sprechen über das Bezogensein – aber das ist nicht Programm. Ich betone das, weil es in der Entscheidungsphase den initiativen Partner (häufig die Frau) und den, der sich mit dem Vorschlag konfrontiert sieht (häufig der Mann), vor dem Irrtum bewahrt, in den Zwiegesprächen ein Machtinstrument zu erhoffen oder zu befürchten („So, jetzt hab ich ihn, jetzt muss er mich ausreden lassen!“ oder „Ach du liebe Sch..., ich soll schon wieder über Gefühle reden?!“). Nein, eben nicht. Um es überdeutlich zu formulieren: Das Du, zu dem ich spreche, dient als Spiegel, als Gelegenheit zur Erforschung, Entwicklung, Entwerfung des Eigenen; das Gespräch ist ein Forum, ein Format, eine Form. Man setzt sich nun mal nicht hin und unterhält sich zentriert und ungestört mit seinem Toaster. Dass mir da ein ganzes, empfindendes Du gegenübersitzt, bewirkt, dass ich das, was ich sage, tatsächlich vollständig formulieren muss, ich muss es zur Sprache bringen, und zwar so, dass ich es für verständlich halte. Nicht mehr – und nicht weniger! Die Sprache ist als Differenzierungswerkzeug nicht zu überbieten. Ein Lehrer, der die Kinder etwas über Bäume lernen lassen will, wird mit ihnen hinausgehen und sie Bäume beschreiben lassen, vielleicht auch malen oder nachbasteln. Das Sehen und Fühlen ist jedoch im Sprechen abbildbar; umgekehrt gilt das nicht. Die Sprache verwendet Bilder, aber die Bilder verwenden keine Sprache. Gefühle lassen sich in Worte fassen, aber Worte nicht in Gefühle. Wenn Sie mir bis hierhin wirklich gefolgt sind und dem letzten Satz erlaubt haben, auf Sie zu wirken, sind Sie jetzt möglicherweise etwas verwirrt, oder jedenfalls in einem leichten, kreativen Tancezustand. Sprache hat das bewirkt, Begriffe, Symbole und eine bestimmte, unerwartete Verknüpfung. Ich öffne Ihnen ein Fenster zu meinem Bewusstsein, und Sie machen damit, was Sie wollen. Genau so ’funktioniert’ ein Zwiegespräch. Wie wird’s gemacht? Die Zwiegespräche erfüllen ihren Sinn nur dann, wenn sie stetig geführt werden. Zunächst müssen sich die zwei darauf verständigen, ob und wie sie die Gespräche führen wollen. Man kann eine Probezeit vereinbaren, z. B. 3 Monate. Wenn es sich für beide bewährt, kann man einen neuen, weiteren Zeitrahmen vereinbaren, oder die „Zwies“ bis auf weiteres zur festen Institution machen. 1. Regel: Feste Zeiten, keine Störung. Am besten ist es, einen festen wöchentlichen Termin zu vereinbaren. Der Termin soll von beiden Seiten fest eingeplant und ernst genommen werden und Priorität vor allen anderen Angelegenheiten haben, mit Ausnahme von Notfällen. Wenn aus beruflichen Gründen ein fester Termin nicht möglich ist, so soll der Termin von Mal zu Mal vereinbart werden. Ein Abstand von 10 oder 14 Tagen ist auch möglich, größer sollten die Abstände jedoch keinesfalls werden. Als Dauer empfehle ich 90 Minuten. 60 Minuten sollten nicht unterschritten werden. Die vereinbarte Dauer des Zwiegesprächs soll eingehalten werden ( +/- 5 Minuten), egal wie der Verlauf des Gesprächs ist. Sie sollten darauf achten, dass während dieser 1 ½ Stunden keine Störung möglich ist. Das bedeutet: Telefon ausschalten, Kinder im Bett oder Babysitter, einen geschützten Raum aufsuchen (spazierengehen hat sich nicht bewährt, zu viele Ablenkungen). 2. Regel: Jeder spricht nur über sich selbst, und so konkret wie möglich. Dies ist der 2. Hauptunterschied zu gewöhnlichen Gesprächen. Keine Fragen, keine Ratschläge, keine Vorwürfe, keine Interpretationen, keine Abwertungen, keine Verallgemeinerungen. Zwiegespräche sind ganz bewußt keine Dialoge im üblichen Sinne, sondern eher wechselseitige Monologe – wobei ich so spreche, dass es mich selbst interessiert, mir zuzuhören, und so zuhöre, dass es mich interessiert, was der andere spricht! Dies bedarf sowohl für den Sprechenden als auch für den Zuhörenden einiger Übung. Zuhören: Als Zuhörer darf ich keine Fragen stellen, mit Ausnahme von Verständnisfragen. Ich darf den Redenden auch nicht unterbrechen, egal wie sehr es mich dazu drängt, etwas dazu zu sagen. Selbst wenn ich vor Wut kochen sollte oder vor Schuldgefühlen eingehe, sage ich als Zuhörer nichts, bis der andere fertig ist. Einzige Ausnahme: Wenn der Sprechende eine Regelverletzung begeht (z.B. Vorwürfe äußert), weist der Zuhörer schlicht darauf hin. Auf diese Weise zuzuhören, u.U. 15 oder 30 Minuten lang, ist sehr ungewohnt, aber auch sehr lehrreich und nützlich: Das übliche eingeschliffene Pingpong wird dadurch unterbunden. Ich lerne, mir einfach in aller Ruhe anzuhören, was der andere mir erzählen will. Dabei erweist es sich als unschätzbarer Vorteil, dass ich keine Antwort vorbereiten muss. Gewöhnlich sind wir beim sog. Zuhören nach kürzester Zeit weitgehend damit ausgelastet, uns eine geeignete Antwort zurechtzulegen, und spätestens dann hören wir nicht mehr hin. Wie wunderbar, sich beim Zuhören wieder und wieder daran erinnern zu dürfen: Ich brauche nichts, aber auch gar nichts dazu zu sagen. Und mir wird hier – soweit der andere das schon beherrscht – kein Vorwurf gemacht. Und damit sind wir beim Sprechen: Noch ungewohnter ist es für die meisten, beim Sprechen bei sich zu bleiben, also in sog. Ich-Botschaften zu kommunizieren. Damit ist gemeint: Alles, was ich jetzt schildere, fällt in meinen Verantwortungsbereich. Ich könnte vor jeden einzelnen Satz stellen „Ich übernehme die volle Verantwortung dafür, dass...“ – klingt radikal, und das ist es auch. Wer das Prinzip der Selbstverantwortung nicht als ein vorrangiges persönliches Reifungsziel bejaht, und zwar unabhängig davon, ob und wie weit der Partner das auch tut („Ich will an mir arbeiten, aber nur, wenn du es auch tust“ – uralter Trick, hat einen Riesenbart), kann die Lektüre hier abbrechen. Wie vermeidet man nun aber die kleinen Feinde der Selbstverantwortung, insbesondere Ratschläge, Vorwürfe, Interpretationen und Allgemeinheiten? „Ich glaube, es wäre gut, wenn du mehr mit unserer Tochter spielen würdest“ ist ein Ratschlag. Eine Ich-Botschaft wäre z.B.: “Ich glaube, unsere Tochter braucht zur Zeit viel Zuwendung und mich belastet der Gedanke, daß sie zu kurz kommen könnte. Ich wünsche mir dann oft, daß Du mehr mit ihr spielst.“ „Nie hilfst du im Haushalt!“ ist ein fetter, unverhüllter Vorwurf. „Ich muss im Haushalt immer alles alleine machen“ ist ein ebenso fetter, leicht verschleierter Vorwurf. „Ich bin dauernd erschöpft von der vielen Hausarbeit, die ich ganz alleine machen muss“ ist ein schon ziemlich gekonnt verschleierter Vorwurf. Die Wörtchen nie, immer, alles und nichts leiten Verallgemeinerungen ein und sind ziemlich sichere Anzeichen: Hier kommt ein Vorwurf. Erlaubt wäre: „Als ich gestern den Abwasch machte und du Fußball schautest, wurde ich sehr wütend auf dich! Ich hätte dir am liebsten das ganze Zeug vor die Füße geschmissen. Ich war voller Vorwürfe gegen dich und habe deshalb extra laut mit den Tellern geklappert.“ Es geht nicht darum, die Wut oder den Ärger zu verbergen, sondern darum, den Zusammenhang aufzulösen, den der Vorwurf herstellt: Mir geht es schlecht und du bist daran schuld! Im Zwiegespräch heißt es: Mir ging es schlecht, und zwar in der und der Situation, und ich hatte dabei diese Gedanken und Gefühle. Den gewohnten 2. Teil (und daran bist du schuld) verkneift man sich, „Ich wurde traurig / wütend auf dich / verzweifelt usw.“ ist natürlich erlaubt. Wundern Sie sich nicht, wenn es am Anfang gerade hier eine Menge Regelübertretungen gibt. Haben Sie Geduld, denn das muß man lernen wie Schreiben oder Fahrradfahren. Interpretationen: Wenn Sie über den anderen sprechen, können Sie sich an folgende Faustregel halten: Sie sagen nur, was Sie unmittelbar mit Ihren Sinnen wahrnehmen konnten. Wir neigen dazu - und im Alltag mag das auch oft sinnvoll sein - unsere Wahrnehmungen in Interpretationen zusammenzufassen. Beispiele: „Als du mich am Sonntag vor unseren Gästen so kühl behandelt hast“, „als du total beleidigt reagiert hast, nachdem ich ...“, oder „wenn du immer so verletzt dreinschaust wie das Leiden Christi...“ - all das sind Interpretationen. Und der Klassiker: „Wenn Du mich lieben würdest, würdest Du unsere Verabredungen einhalten“ oder „..wärst du beim Sex zärtlicher/leidenschaflicher/zurückhaltender usw.“ sind Interpretationen von geradezu gigantischem Ausmaß. Wir können nicht genau wissen, was der innere Zustand oder die Absicht des anderen gewesen ist. Von sich sprechen würde hier bedeuten: „Als die Gäste da waren, hab ich mir gewünscht, daß du mich öfter mal anschaust oder berührst. Als das nicht geschah, fühlte ich mich von dir abgelehnt und stehengelassen.“ „Als Du unpünktlich kamst (nicht: Immer wenn Du...!,), fühlte ich mich nicht geachtet und dachte, Du liebst mich nicht, du findest mich nur praktisch.“ Der Unterschied ist klein, aber bedeutsam. Es lohnt sich, hier unermüdlich daraufhin zuweisen: „Ich habe es so und so empfunden, ich habe mir den und den Reim darauf gemacht, und dann darauf so und so reagiert“ und nicht für den anderen entscheiden zu wollen, wann er oder sie beleidigt, ablehnend, wütend oder interesselos gewesen sein soll. Das ist anfangs anstrengend und erscheint etwas künstlich, aber Sie werden bald merken, daß es sich lohnt. Allgemeine Aussagen, Referenzen: „Es ist doch sinnlos, das so und so zu machen.“ „So darf/kann man das nicht sehen.“ Alle Aussagen, die auf die Form herauslaufen „Es verhält sich so und so“ oder „Es ist logisch/unlogisch; man muß/kann doch nicht“, all diese Aussagen haben in einem Zwiegespräch nichts verloren. Das gleiche gilt für Sätze mit immer (wenn), nie, überall, jede Art von Verallgemeinerung, wie oben schon erwähnt. Sie lenken von der unmittelbaren, persönlichen Erfahrung ab und spiegeln eine vermeintliche Objektivität vor, die die eigene Mitteilung verschleiert. Wer ist denn Es? Wer ist Man? Wann ist immer? Wo ist überall? So reden Politiker, denn hinter dieser Sprache kann Man unerkannt bleiben. Eine beliebte Sonderform der Objektivierung ist die Referenz: „Meine Freundin XY hat auch gesagt...“ oder „Der Moeller schreibt übrigens in seinem Buch...“ oder „Wenn man 100 Leute fragen würde, würden doch bestimmt 80 sagen...“ Nein. Nein. In den Zwiegesprächen geht es ausdrücklich darum, sich zu erkennen zu geben, sich zu zeigen. Die Zwiegespräche sind daher ein Bekenntnis zur Subjektivität - je subjektiver, desto besser. Beginnen Sie einfach jeden Satz mit Ich, dann kann schon nicht mehr viel schiefgehen. Z.B.: „Ich fühle mich wirklich mies dabei, so egoistisch zu sein und nur über mich zu sprechen...“ oder „Ich empfinde diese Gesprächsregeln als eine Unterwerfung unter diesen Psychofuzzi.“ 3. Regel: Gleiche Verteilung der Sprechzeiten, kein Sprechzwang. Beide sollten darauf achten, daß die Sprechzeiten in etwa gleich verteilt sind. Ob man sich im Takt von wenigen Minuten abwechselt
oder in größeren Blöcken spricht, bleibt dem Stil eines Paares überlassen; für den Anfang kann es auch sinnvoll sein, 15-Minuten-Blöcke zu vereinbaren. Jeder signalisiert, wann er fertig ist (am Anfang kann ein Redestab
helfen). Es ist auch erlaubt, die eigene Sprechzeit mit Schweigen zu verbringen - der andere darf trotzdem nicht mehr als die Hälfte der Gesamtzeit beanspruchen. Es kann sehr sinnvoll sein, wenn in den ersten 5 bis 10
Minuten beide schweigen, um erst einmal in sich zu gehen und darauf zu achten, welche Themen heute aufsteigen und angesprochen werden wollen. Fortgeschrittene gehen meist völlig ohne Plan in ein Zwiegespräch; das Reden wird
frei und improvisiert – lesenswert dazu ist der berühmte Brieftext „Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden“ von Heinrich von Kleist. Üben Sie keinen Druck aufeinander aus. Jeder erzählt freiwillig das von sich, was er/sie erzählen möchte. Der eine muß, wie erwänht, keinen Bezug auf das nehmen, was der andere vorher gesagt hat; vielleicht erzählt die Frau etwas über ihre Gefühle in der Beziehung und der Mann etwas über seine Sorgen in der Arbeit. In einem Zwiegespräch ist das in Ordnung, es wird nicht als aneinander -vorbeireden betrachtet. Natürlich könnte die Frau in dem Beispiel sagen: „Ich wünsche mir, von dir zu hören, wie es dir mit uns beiden geht“, der Mann braucht aber nicht darauf zu antworten. Nach und nach kommen schon alle wichtigen Themen zur Sprache. Jeder beginnt in der Ecke, die er/sie wählt, ob nun aus Gründen der Dringlichkeit oder der Ungefährlichkeit – aber mit der Zeit entsteht doch das ganze Bild: „Zwiegespräche heißt für mich: Ich male vor dem anderen an meinem Selbstportrait.“ Es ist ein Abenteuer. Fangen Sie einfach an. „Nur aus Fehlern wird man klug, drum ist einer nicht genug“ ist sicherlich kein schlechtes Motto dafür. Und sollte es Spaß machen, wundern Sie sich nicht zu sehr. Sebastian Gruben
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